Die wortlose Greisin

Errätst du meinen Namen?
So trage ich mein Gewand:
Drei Yard Tuch auf dem Kopf,
Sechs Meter um die Beine,
Mein Kleid gleicht den Farben der Blumen und des Herzens,
Nur meine abgenutzte Mütze entblößt meinen wahren Zustand.

Unter einem Winkel des Kleides verbirgt sich mein in hundert Fetzen zerrissenes Herz,
Mein Rückgrat brach auf halber Strecke.
Trotz meiner äußerlichen Ruhe brennt mein Herz wie Glut,
Und ich verberge als erloschene Asche Feuerfunken in mir.

Ein Herzstück schläft unter dunkler Erde,
Das andere Stück verweilt auf fremdem Boden,
Seit mein furchtloser Gefährte sein Leben für die Heimat hingab,
Zermahlt meine Entkräftete ihr Herz am Stein der Zeit.

Mein Freund, sowie du mich erblickst, denkst du,
Was weiß schon diese armselige, unwissende Greisin?
Sie hat weder ein Wort auf der Zunge, noch trägt sie Schuh‘,
Die Nähe dieser Verwahrlosten steht uns nicht.
Oh du mein Freund, ich habe Worte, doch wo bleibt die Kraft, diese zu äußern?

Die Bedeutung meiner Worte verstehst du nicht,
Wie kannst du dann meinen Schmerz spüren?
Denn einzig der Boden erfährt den Schmerz, in dem das Feuer lodert.
Ich ersehne mir aus einem Salzsumpf eine Wiese,
Doch wo bleibt die Gelegenheit, diese zu erschaffen?

Deinen Lebensgenuss und meinen Missstand verdanken wir doch nur den Märtyrern.
Verdränge uns nicht aus deinen Gedanken, auch wenn es dir schwer fällt.
Denn in den Bächen der Heimat fließt das Blut unserer Liebsten,
und in Trauer verweilen die afghanischen Mütter allesamt!

Marburg