Offener Brief: Relocation jetzt – gerade wegen Corona!

Sehr geehrte Damen und Herren,

das Leid der Geflüchteten an den Südgrenzen Europas geht weiter – und wird sich durch die sicher zu erwartende Ausbreitung der Corona-Pandemie auf die Flüchtlingslager weiter dramatisch verschärfen.

Das Schicksal dieser Menschen darf nicht gegen politische Interessen ausgespielt oder durch die Auswirkungen der Pandemie im eigenen Land übertönt werden. Wir als zivilgesellschaftliche Initiativen fordern Sie als unsere politischen Vertreterinnen und Vertreter auf, sich für die Einhaltung der Menschenrechte einzusetzen und die Geflüchteten aus den griechischen Lagern sofort zu evakuieren! Die Aufnahme von 50 unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten ist tatsächlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Rund 40.000 Migrant*innen und Geflüchtete befinden sich aktuell auf den griechischen Ägäis-Inseln: in überfüllten Flüchtlingscamps und unter menschenunwürdigen hygienischen Bedingungen.

Es droht eine humanitäre Katastrophe!

Wir dürfen die Menschen an den europäischen Außengrenzen in Zeiten der Krise nicht zurück lassen. Auch am letzten Sonntag fanden in zahlreichen Städten Protestaktionen unter dem Motto #leavenoonebehind statt, bei denen viele  Menschen, unter Beachtung aller Maßnahmen zum Infektionsschutz, ihre Kritik der Verhältnisse an den europäischen Außengrenzen und ihre Forderungen an die Verantwortlichen ausgedrückt haben.

Marburg und die zuständigen politischen Gremien haben wiederholt öffentlich erklärt, dass sie bereit sind, Geflüchtete aus den Lagern aufzunehmen. Ähnliche Erklärungen gibt es aus anderen Gemeinden in Hessen, wie z.B. aus Darmstadt, Wiesbaden oder Kassel und bundesweit aus Potsdam oder Berlin. Mehr als 140 aufnahmebereite Kommunen haben sich zu sicheren Häfen erklärt und sagen: Wir haben Platz!

Die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker in Hessen, in Deutschland und in Europa haben dies bislang mit erklärter Unzuständigkeit – die Landesregierung schiebt die Verantwortung auf die Bundesregierung und die auf Europa – und fadenscheinigen bürokratischen Argumenten verhindert. Politikerinnen und Politiker tragen damit wesentlich dazu bei, dass Menschen weiterhin an den Südgrenzen Europas unter unwürdigen Bedingungen leben müssen – wegen ihrer großen Zahl auch mit einer erheblichen Belastung für die einheimische Bevölkerung. Es besteht jetzt die Gefahr, dass die Corona-Pandemie das Elend der Menschen in den Lagern ins Unvorstellbare verschlimmert und sehr viele Menschen sterben werden.

Natürlich hören wir auch das Argument, dass die Umsetzung der Relocation-Initiative gerade jetzt wegen der Corona-Pandemie nicht möglich sei. Vor der Pandemie wäre es leichter gewesen, das ist richtig. Aber gerade jetzt, wo sich die Situation für die Geflüchteten so verschärft, können die politischen Versäumnisse der Vergangenheit nicht die Rechtfertigung dafür sein, auch jetzt nichts zu tun. In der aktuellen Lage müssten die Menschen nach ihrer Ankunft in Marburg und in anderen Städten vermutlich zunächst in Quarantäne gehen. Eine mögliche Quarantäneunterbringung könnte, unter Erfüllung gebotener hygienischer Maßnahmen, leicht etwa in leerstehenden Tagungs- und Fortbildungseinrichtungen und Hotels erfolgen.

Es geht darum, Menschenleben zu retten!

Wir fordern die Umsetzung der Relocation-Initiative nach Marburg und in die anderen beteiligten Städte jetzt. Die Versäumnisse der Vergangenheit können nicht das Argument sein, auch jetzt nichts zu tun.


Mit freundlichen Grüßen,
Lydia Koblofsky

für das „Interkulturelle Begegnungszentrum Kerner“ aus Marburg, die Relocation-Initiative “200 nach Marburg” und die Seebrücke Marburg

Mitzeichner*innen:

  • agent21Zukunftswerkstatt (vertreten durch Thomas Gebauer)
  • Initiative Afghanisches Hilfswerk e.V. (vertreten durch Christa Winter)
  • Kulturhorizonte e.V. (vertreten durch Dr. Ilina Fach)

https://pfarrkirche.ekmr.de/fileadmin/user_upload/Gemeinden/St.Marien/Offener_Brief_Relocation_jetzt-_gerade_wegen_Corona.pdf