Einst lebte ein Jüngling, der eine tiefe Hingabe zu Tannen hegte. Er liebte die Tannen und den Wald wie seine eigene Seele, die Hochwachsenden waren sein Augenlicht. Die bedingungslose Liebe hatte in ihm wurzelgeschlagen, so dass er sich als ein Teil von ihnen betrachtete. Manchmal erweckte die Zuneigung in ihm das Gefühl, dass der Wald ein Teil seines eigenen Körpers war, mit dem er atmete und gemeinsam aufwuchs. Der Sinn der Zusammengehörigkeit war in ihm so stark, da er dem Wald sein Leben verdankte. Es wird erzählt, dass der Jüngling in seiner Kindheit so schwer erkrankte, dass kein Arzt ihn behandeln konnte. Die letzte Hoffnung war ein Heiler, der aus den Wurzeln einer Tanne eine Medizin für ihn zubereitete, die sein Leben rettete. Die Liebe zum bezaubernden und gewaltigen Wald hob sich empor und bekam kräftige Äste und eine Krone. Der Knabe saß tagtäglich nach dem Unterricht und auch nach der Arbeit am Fuße der Tannen. Er genoss es, diese zu betrachten und teilte mit ihnen seine tiefsten Bedürfnisse und Gedanken. Sein inneres Verlangen wuchs im Laufe der Zeit und die Kraft seiner Arme nahm zu. Seine ganzen Gedanken drehten sich nur noch darum, was er unternehmen könnte, um der Pracht der Tannen gerecht zu werden.
Sie waren so bezaubernd und so lieblich. Er verehrte seine grünen Schätze bis zur Grenze der Heiligkeit. Einzig waren ihm ein Dorn im Auge, der Wuchs und die Gestalt anderer Bäume, die um die Tannen herum wuchsen. Immerzu erboste es ihn, dass seine Tannen die Erde, den Regen, die Luft und die Sonne mit den anderen Bäumen teilen mussten, obwohl seinen Smaragden alles gebührte. Er wollte nicht verstehen, wieso so viele Ressourcen seines Waldes, Beute anderer Bäume werden sollten.
Eines Tages ging der Halbstarke gerüstet mit der Axt in der Hand, Hass im Herzen und der Leidenschaft im Kopf in sein geliebtes grünes Heim. Die Statur und der Wuchs des Fremden, welche er von abweichender Natur der Tannen dort vorfand, enthauptete und zerbrach er, konnte jedoch nicht alles entwurzeln. Nach nicht allzu langer Zeit wuchsen und zeigten sich von den überlebenden Wurzeln sanfte Sprossen und frische Blätter. Als würde jede von ihnen sich anmaßend und zur schaustellend über die Torheit des Jünglings belustigen. Allmählich verlor der Knabe seine Nerven und suchte einen neuen Lösungsweg. Er begriff, dass diese Arbeit ihm nicht alleine gelang, sodass er Kumpanen suchte, die ihm in dieser großen Mission behilflich wären. Mit resoluter Entschlossenheit begann er diesmal mit der Vernichtung der Sprösslinge nicht mehr im Alleingang sondern gemeinsam mit seinen Freunden. Mal schlugen sie mit ihren Äxten auf die Eichen ein und verwundeten anschließend die Platanen, mal schlugen sie die Kronen der Buchen ab und mal sägten sie am Stamm der Weiden. Kleinere Büsche wurden leichter beseitigt und vergrößerten den angesammelten Brennholzhaufen für den Winter. Doch auch seine Kumpanen und deren Begleitung führten erneut den Jüngling nicht zum ersehnten Ziel. Der Wald verlor nunmehr seine ursprüngliche Farbe und Frische. Sein wohlriechender Duft war nicht mehr der Seelenbalsam, den er mal war. Das Rauschen der Blätter ließ in den Ohren des Knabens ein fremdes Lied erklingen. Doch das war dem Jüngling nicht genug, er wurde zornig und mürrisch. Seine Liebe zum Wald wandelte sich zur Qual um und sein Blut zu Gram und Trauer. Er holte Ratschläge von seinen Freunden ein, um sein Ziel, die Vernichtung der anderen Arten, zu erreichen. Jemand erzählte ihm von der unbegrenzten Macht der Maschinen und entwertete die Axt und die Säge als Nichtigkeit und als unproduktiv. So versuchten sie alle gemeinsam Maschinen zu organisieren, um die noch stehenden fremden Bäume auszureißen, und um die Tannen von der Plage dieser Dreisten und Unverschämten zu befreien. Als die gewaltigen Maschinen geführt von fremden Fahrern in den Wald einrollten, ließen sie den Akazien, Buchen und Weiden keine Gelegenheit zum Stehen. Sie enthaupteten und schlugen die Stämme mit einer derartigen Gewalt, dass sie sogar schlimmer als Nimrod zu Gange waren. Die gefallenen Stämme waren nicht nur den fremden Baumarten zuzuordnen, es waren auch viele Tannen wiederzufinden, die unter den Maschinen geraten waren und nun leblos auf dem Boden lagen. Als der Knabe seine gefallenen Liebsten erblickte, schlug er die Hände über dem Kopf zusammen und schrie aus Leib und Seele. Sein Schrei reichte bis hin zu Gottes Thron. Doch der Lärm der Maschinen übertönte die Leidklagen des Jünglings, sein Geschrei verblasste in Gegenwart der gewaltigen Motoren.
Die einstigen Tage waren gezählt, der Wald schien kahl und leer. Vereinzelt zeigten sich verlassene Tannen, die ihre frühere Pracht verloren hatten. Von ihren Nadelblättern tropfte es Wasser. Als ob sich jede einzelne Zelle zu Tränen und jedes einzelne Blatt zu Augen verwandelt hätten. Obwohl sie mit mehr Sonnenlicht beglückt waren und ihnen mehr Wasser und Erde zur Verfügung stand, war ihnen Freude fern. Das grüne Waldgewand verlor seine Farbe und auch sein Parfüm war verloren gegangen.
Der Jüngling rannte mit Sorge erfüllt auf und ab. Er blickte in alle Himmelsrichtungen, doch er fand nichts als Trauer und Unglück. Die einstige Herrlichkeit des Waldes erschien nun prunklos. Er begann unaufhörlich zu weinen, zu schreien und klagte über die Farblosigkeit des Waldes und der verwelkten Blätter. Er fragte die Bäume, sprach mit den Ästen, saß zu den Füßen der Wurzeln und stellte seine Fragen. Er weinte so bitter und schrie so schmerzvoll, dass endlich eine Tanne, die selbst in Tränen versunken war, seine von Leid erfüllte Stimme erhob und erwiderte.
„Oh du stolzer Mensch, was hast du bloß unserem Walde angetan? Du nahmst uns die Platanen, die jahrelang mit uns wuchsen und sich mit uns entwickelten. Unsere schönen Weiden, deren Pracht unser Stolz war, hast du vernichtet. Die Eichen, die unser Begleiter in schneereichen Winter waren, rodetest du. Wir Bäume lebten in Symbiose, wir waren miteinander verbunden und erhielten uns gegenseitig am Leben, doch du hast unsere Freunde geköpft. Erinnere dich an unseren schönen Frühling, in den bis einer grün wurde, der andere knospte und der dritte Blätter und Früchte zum Vorschein brachte. Was waren das für schöne Frühlinge, in denen jeder sich von den anderen unterschied und trotz dieser Gegensätze wir eins waren. Erinnere dich an unseren Herbst, in den einer seine Farbe schnell wechselte und die anderen ihm folgten. Erinnere dich an die Vielfalt und den Glanz unserer Farben. Einer wurde rot und der andere gelb, unter ihnen stach mein Grün hervor und besaß Anmut. Meine Pracht findet sich nur unter den Regenbogenfarben der anderen. Die kleinen Büsche gaben mir Kraft. Die prunkvollen Bäume schenkten mir Erhabenheit und Heiterkeit. Und das Rauschen ihrer Blätter sänftigte meine Seele. Jetzt besitze ich keine Schönheit mehr, weil wir alle einander gleichen. Meine grüne Farbe ist nicht mehr anziehend, weil alles grün ist. Meine Stimme ist in der Leere der Luft nicht mehr fesselnd, weil wir alle mit einklängigen Stimmen versehen sind. Meine Größe ist nicht mehr prächtig, weil wir alle groß sind. Jetzt sind nur noch wir, in unserem eintönigen Umfeld.
Oh du unbesonnener Knabe! Wenn du in die Tiefe des Waldes hineingehst, würdest du in einem anderen Winkel andere rücksichtslose Menschen antreffen, die wie du für eine Baumart schwärmen und mit der Vernichtung der restlichen Bäume beschäftigt sind. Jeder versucht das Gebiet seines Lieblingsbaumes auszuweiten, doch ihr wisst nicht, dass sich dieser Wald nicht in eurem Besitz befindet. Mit eurer selbsterschaffenen Besitzurkunde setzt ihr das Leben eurer Lieblinge aufs Spiel, anstatt sie zu schützen und zu pflegen. Ihr ahnt nicht, dass wie ihr tausend Weitere kommen und gehen werden, aber dieser Wald mit seinen facettenreichen Bäumen und Pflanzen euch überdauern wird. Und das nur mit seiner unterschiedlichen Flora und Fauna! Eine Art alleine kann nie überleben.